Wir lieben Besuch

Die Dame des Hauses bittet zum Tee

Selbstgemachte Spezialitäten

Tischdeko im Wintergarten

Als wir anfingen, den Garten zu öffnen, hatten wir natürlich keine Vorstellung davon, was einmal daraus werden würde. Ich spreche von „wir“,  weil dieses Unterfangen von Beginn an unser gemeinsames Projekt war. Es hatte sich so ergeben, dass meine Frau Susanne und ich schon seit längerer Zeit unterschiedliche Schwerpunkte entwickelt hatten, unabhängig von unseren Berufen. Ich im Garten draußen, Susanne beim Backen und Kochen im Haus. So wie ich angefangen hatte, mich immer weiter zu spezialisieren und meine Vorlieben in Form von wachsenden Sammlungen auszuleben, hatte sie aus ihrer Koch- und Backrezepte-Sammlung einen Kern von Kuchen und Torten destilliert, der sich später auf Suppen, Quiches, Marmeladen und Rosenliköre erweitern sollte und den sie begonnen hatte, im Gartencafé anzubieten.

So improvisiert die Anfänge auch waren, erwies sich die Kombination unserer Vorlieben und Leidenschaften doch als sehr fruchtbar.

Als sich immer mehr Gruppen anmeldeten, wurde uns klar, dass wir uns gut organisieren mussten, um den Überblick nicht zu verlieren. Ich spürte, dass mir dieser Teil anfing, sehr viel Spaß zu machen. Ich nahm gerne die Anfragen entgegen und vereinbarte Termine, nachdem ich uns und den Garten kurz vorgestellt hatte. Und ich begann einen regen Mailverkehr um diese Anfragen herum zu führen. Diesen Bereich teilten wir uns längere Zeit, aber so lange ich noch berufstätig war, liefen viele telefonische Anfragen bei meiner Frau auf, die damit ganz in ihrem Element war. Wenn dann Monate später die Gruppen eintrafen, war es oft so, dass ich den Eindruck hatte, als begrüßten sich alte Freunde.

Wir sind kein Gewerbebetrieb, das kleine Gartencafé, das Susanne in der ehemaligen Garage eingerichtet hat, ist nur zu den Gartenöffnungszeiten für Besucher zugänglich, also höchstens acht oder neun Mal im Jahr. Ich sitze gerne dort auf dem Plüschsofa oder den Stühlen davor, wenn ich mit meiner Gartenführung für eine der Besuchergruppen zu Ende bin, und hole mir ein Stück Kuchen und einen Tee. Freundinnen aus dem Pool unbezahlter (und unbezahlbarer) Helferinnen hinter dem Tresen bedienen die Gäste und ich schwatze gerne mit den Reiseleitern, die scheinbar genauso gerne eine Pause einlegen.

Der Wintergarten, den wir anbauen ließen, ist das Bindeglied zwischen dem Café und unserem Hofplatz, auf dem im Sommer Tische und Stühle stehen. Da meine Frau vor der Ankunft der Gruppen oder vor der Gartenöffnung immer heillos im Stress ist und letzte Vorbereitungen für das meist opulente, kulinarische Angebot zu treffen sind, habe ich mir angewöhnt, besagte Tische aufzustellen, die Stuhlpolster auszulegen, zu schauen ob alle Tische  mit einer Tischdeko aus frischen Blumen in kleinen Vasen bestückt sind und unser Stehpult mit Sparschwein für Spenden sowie das Gästebuch bereitliegen.

Zu diesem Zeitpunkt, wenn ich die Tischdeko in Augenschein nehme, bin ich schon seit Stunden mit meinen selbst auferlegten Pflichten beschäftigt gewesen. Ich hatte den Hof und die Gehwege gefegt, auf denen sich immer Blätter, Äste und sonstiger Kleinkram sammeln. Ich hatte Blüten für die Deko geschnitten, in der Hoffnung, damit Susanne zuvorzukommen, aus meiner alten, in der Regel unberechtigten Sorge, sie könnte die Beet plündern, kurz bevor die Gäste kommen.

Der Wintergarten

Ich hatte meinen kleinen Gartentisch und zwei Korbsessel unter den Apfelbaum gestellt, wo ich immer im Schatten sitze und die Gäste begrüße, die mich allerdings erst sehen können, wenn sie fast vor mir stehen. So bekomme ich manche Unterhaltung mit, die ich nicht hören sollte, da hin und wieder Bemerkungen über übervolle Beete fallen oder die (natürlich geplante!) „Unordnung“ in manchen Bereichen, und denke mir meinen Teil.

Auf meinem Tisch liegen Rosen- und Staudenkataloge, meine Lesebrille, daneben eine Flasche mit Wasser und meine Rosenschere. Ich habe mir angewöhnt, unsere Gäste zu fragen, woher sie kommen, was ich bei den Gruppen ja weiß, bei den Besuchern zu unseren sonstigen Öffnungsterminen aber nicht, was eine gute Gesprächseröffnung bietet. Am seltsamsten klingt meine Frage immer dann, wenn die Antwort lautet „aus Kollmar“. So ist unsere Gartenöffnung immer wieder auch ein Kennenlernen unserer weitläufigen Nachbarschaft.

Tatsächlich genieße ich es jedesmal, in diese Atmosphäre einzutauchen, die entsteht, wenn sich der Garten füllt und im Hof wie im Wintergarten das Klappern der Kuchengabeln auf den Tellern zu hören ist.

Mein Platz unter dem Apfelbaum

Im Café arbeiten dann die Helferinnen schon im „entspannten Stressmodus“, kleine Schlangen bilden sich vor dem Tresen und Susanne bäckt in der Küche Kuchen nach, weil sie bemerkt hat, dass der Andrang größer war als erwartet – business as usual.

Besuch in Hidcote Manor Gardens

Natürlich ist es so, dass mir von den Besuchern viele Fragen zum Garten gestellt werden, das ist ja auch der Sinn der Sache. Aber davon abgesehen, halte ich mich eher im Hintergrund und versuche, mich nicht aufzudrängen. Dafür ist es hilfreich, mich an unsere Gartenreisen zu erinnern und wie ich mich selbst als Gast in fremden Gärten gefühlt hatte. In den großen Gärten wie Hidcote Manor oder auch in Beth Chattos Garten gab es keine Führungen und ich erinnere mich auch nicht, dass wir mit den Gärtnern, geschweige denn mit den Planerinnen, gesprochen hätten. So hatte ich Zeit und Muße, mir die Gärten selbst zu erschließen, was ich sowieso am liebsten tue. In den Privatgärten war das allerdings anders, und  auch das habe ich jedes Mal sehr genossen.

Blick von der Terrasse des letzten Gartens unserer Norfolk Reise.

Als wir den letzten Garten auf unserer Norfolkreise besuchten, war es Spätnachmittag und alles war in ein goldenes Licht getaucht. Die Gastgeber hatten an der Ostseite des Hauses im Schatten einen Tisch und ein paar Stühle stehen, auf dem Tisch stand ein großes Tablett mit einem feinen Teeservice und die Gastgeberin hatte gebacken. Ihre Schwester half im Service aus und ihr Vater, schon in den späten 80ern, erzählte mir bei einer Tasse Tee einiges über die Entstehungsgeschichte des Gartens und die Historie des Ortes, während wir über die sonnendurchfluteten Felder schauten. Dieses Bild ist mir gut in Erinnerung geblieben, wie wir da saßen und miteinander redeten, uns gerade erst kennengelernt hatten und nach unserer Abreise eine halbe Stunde später uns nie wieder sehen würden.

In den Cotswolds waren wir im Rahmen einer Gruppenreise zu Gast bei Mr und Mrs Young. Mr Young begrüßte uns vor dem Haus, nachdem wir aus dem Bus gestiegen waren. Seine Begrüßungsansprache hielt er mit einem Megaphon, was ich erst sehr ungewöhnlich und später ungemein praktisch fand. Sich vor Gruppen durchgängig verständlich zu machen fordert den Stimmbändern oftmals einiges ab. Ich musste zu Hause immer wieder mal an Mr Young denken, dessen Frau uns im Vorgarten wunderbaren Earl Grey in dünnen Tassen serviert hatte, denn Mr Young beherrschte die Kunst perfekt, aus wenig viel zu machen. Als wir in seinem Garten zu Besuch waren, blühte leider nicht mehr viel.

Dennoch konnte er, aus einem reichen Fundus gärtnerischer Erfahrung schöpfend, unterhaltsam und  heiter erzählen, während er auf unscheinbare Sträucher oder abgeblühte Stauden in seinem Border deutete. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass sich das Erleben seines Gartens in wichtigen Teilen in meinem Kopf abgespielt hatte. Immer wieder muss ich im August an ihn denken, wenn ich Gäste durch meinen Garten führe, in dem gerade wenig Spektakuläres zu sehen ist. Dann erinnere ich mich an ihn und fange an, diese wunderbaren, wenn auch im Moment nicht blühenden, Gallicarosen und ihren phänomenalen Duft zu beschreiben.

Wegen diesem feurigen Enthusiasmus, den er hinter britischer Gelassenheit zu verbergen wusste, und mit dem er mich damals ansteckte, behielt ich Mr Young in bester Erinnerung. Gänzlich vergessen oder gar nicht wahrgenommen hatte ich, dass Mrs Young mit den Damen unserer Gruppe im Haus verschwunden war und den sagenumwobenen Agar-Herd vorführte, auf dem schon Mütter und Grossmütter kochen und backen gelernt hatten und von dem Susanne heute noch genauso schwärmt wie von den von Mrs Young preisgegebenen Backrezepten.

Dieser Austausch scheint mir tatsächlich der Kern und die Seele dieses gegenseitigen Öffnens, Zeigens und Bekanntmachens zu sein und es ist eine über Grenzen hinweg belebende Form von Neugier und Interesse, die eine  gemeinsame Gartenkultur bereichert und am Leben hält.