Von Berlin auf’s Land

 

Von Berlin aufs Land

In Berlin waren wir am 9. November 1989 unter den Tausenden von Menschen, die am Checkpoint Charlie standen und in dieser vibrierenden Anspannung kaum glauben wollten, dass sich die Mauer öffnen sollte, so wie es kurz zuvor im Radio gemeldet worden war.

Als sich Stunden später der nicht enden wollende Trabi-Strom bis zum Morgengrauen ins alte Westberlin ergoss, liefen wir zu Fuß zurück nach Schöneberg.

Wir spürten, dass sich etwas Grundlegendes verändert hatte und nichts mehr so sein würde, wie es lange Zeit gewesen war.

Schon seit Längerem hatten wir nur noch sporadisch Konzerte und Ausstellungen besucht, das ganze kulturelle Angebot erreichte uns nicht mehr, wir waren im Arbeitsalltag und der hektischen Berliner Taktung müde geworden; stadtmüde und erschöpft von ewig langen U-Bahnfahrten, von schlechter Luft in den Wintermonaten und ständig zunehmendem Verkehr. Meine Arbeit mit aggressiven, depressiven und psychotischen Menschen hatte mich ausgelaugt. Es gibt ein Foto von Susanne aus dieser Zeit, es muss  im Frühjahr 1990 gewesen sein.  Sie steht nicht weit vom Winterfeldplatz unter der blühenden Zierkirschenallee und scheint zu rufen: Der graue Winter ist vorbei! Nur: In diesem Jahr erreichte mich das nicht mehr, im tobenden Verkehr auf der Pallasstraße. Es war einfach zu laut, zu voll und zu stickig in der Stadt geworden. Vielleicht hatte sich gar nicht so viel verändert, nur mir war es zu viel geworden.

Die Entscheidung, aufs Land zu ziehen, fiel uns nicht leicht, es war ein langer Prozess. Die Nähe zur Großstadt erschien uns allerdings Bedingung zu sein. Unsere Wahl fiel auf Schleswig-Holstein, und im Hamburger Speckgürtel hofften wir, ein Haus zu finden, das sowohl bezahlbar als auch ruhig gelegen war. Und wo es möglich sein würde, einen Garten anzulegen.

In dieser Umbruchzeit träumte ich sehr viel von Wasser in allen Variationen, ich träumte auch von Bergen und Abstürzen. In diesen Träumen entwickelte sich so etwas wie ein Kompass, der beständig in eine Richtung zeigte, und diese Richtung war Norden, war weiter Himmel und viel Wasser.

Mitte der 80er Jahre war ich das erste Mal in Elmshorn und an der Elbe gewesen. Zwischen Elmshorn und dem Fluss liegt Neuendorf und fährt man auf der Bundesstraße Richtung Kollmar, geht kurz hinter Neuendorf ein riesiger Himmel auf, es wird weit, flach und offen. Schon damals hatte die Kompassnadel sacht gezittert.

Wir suchten unser Haus über das Hamburger Abendblatt, kontakteten Makler, fuhren an Wochenenden nach Elmshorn und besichtigten Häuser. Das Exposee für dieses Haus, Reetdachkate mit 3.000 qm Grund, lag wochenlang auf meinem Schreibtischich hatte es einfach vergessen.

Als wir es schließlich doch an einem sonnigen Februarnachmittag besichtigten, verliebte ich mich sofort. Eine innere Stimme sagte mir, wenn nicht hier, dann gar nicht. Damals hatte ich mich noch wenig mit alten Häusern beschäftigt und hatte keine Ahnung wie aufwendig und zeitintensiv der Unterhalt dieser Oldtimer sein kann. Jedenfalls mochte ich dieses Haus sofort. Ein reetgedecktes Backsteinhaus mit einem langen, flachen Anbau. Ein Mosaikboden im Windfang, ein Kaminofen in der Diele und viel altes Holz. Aber das Entscheidende war das Gartengrundstück. Im Februar war da nicht viel zu sehen. Es war einfach weit und leer und sehr still. Nebenan stolzierte ein Fasan. Ich bekam eine Ahnung, dass ich hier zu Hause sein könnte. Eigentlich war ich nur sprachlos und irgendwie sehr glücklich, ohne genau sagen zu können, warum. Wir redeten dann lange mit den Besitzern, das Haus war schon ein Jahr zu haben gewesen, jetzt hatten sie genug davon und würden das Angebot vom Markt nehmen. Wir sagten, wir müssten überlegen, und gingen zum Elbdeich, von dort oben konnten wir das Haus gut sehen, es funkelte in der Abendsonne.

Als wir endlich einziehen konnten, war es Dezember, der Garten tiefgefroren und der Himmel eisig grau.