Also, so fing alles an

Auf dem Weg zum Krückau-Sperrwerk mit Blick Richtung Elbe

Der Hauptweg mit Blick zum Haus im Juni, – Flocon de Neige – im Vordergrund

Mein Garten liegt in Schleswig Holstein, etwa 60 Kilometer Nord-westlich von Hamburg. Die spröde Marschlandschaft prägt die kleine Elbhafen-Gemeinde Kollmar , die umgebenden Felder und Weiden werden landwirtschaftlich genutzt, Mais, Raps und Getreide werden dort angebaut. Als ich 1991 begann, unser schmales und langgestrecktes Grundstück zu bearbeiten, hatte ich nicht viel gärtnerische Erfahrung. Ich wollte dabei möglichst einfach und unkompliziert vorgehen, und von der chemischen Keule wollte ich im Garten gar keinen Gebrauch machen.

Auf der eigenen Scholle konnte ich endlich anfangen meinen Raum zu gestalten, ich konnte Stauden, Kräuter und Sommerblumen ausprobieren und mit Brennesseljauche und Holzasche experimentieren; ich konnte mir jetzt einen neuen Raum erschließen und im Gegensatz zu meiner therapeutischen Arbeit war es draußen an der frischen Luft möglich, relativ schnell Ergebnisse zu sehen.

Schon als Kind hatte ich einen sehr großen Bewegungsdrang, der immer wieder mit den Sitz- und Redezwängen in der Schule kollidierte. Merkwürdigerweise habe ich später einen Beruf gewählt, in dem ich sehr viel sitzen und reden musste. Später merkte ich, wie hervorragend sich meine therapeutische Arbeit und die Gartenarbeit ergänzten. Für einen Therapeuten ist eine gute Erdung immer ein Gewinn, ich denke sogar, sie ist eine Voraussetzung. Und nichts verlieh mir bessere  Bodenhaftung als der regelmäßige Kontakt mit der Erde in meinem Garten.

Rambler in den alten Birnbäumen in unserem Rosenpark

Der Garten gab mir Gelegenheit, viele Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Ich konnte körperlich an meine Grenzen gehen und bei jedem Wetter draußen sein. Das Allerbeste war, dass im Garten eine bislang verborgene Vorstellung oder Vision sichtbar wurde; nichts unbedingt Neues und nichts Spektakuläres, aber etwas, das mir entsprach und gleichzeitig das Wesen des Gartens zum Vorschein brachte,  nicht zu Letzt, indem es mit der natürlichen Umgebung im Einklang blieb. So entwickelten sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Gartenräume, strukturiert durch Buchsbaumhecken und Rosenbögen, eingefasst durch einen Rahmen aus Mirabellen,Schlehen und Holunder, sowie den geschnittenen Kopfweiden. Aufwendige Holz- und Steinarbeiten ließ ich sein, aber die Materialien Holz und Stein benutze ich bis heute gerne, weil ich sie unbearbeitet gut verwenden kann. Als Einfassungen und Abgrenzungen oder als kleine Objekte, die durch Form und Struktur Akzente setzen können.

Einerseits sind Feinarbeiten nicht unbedingt meine Stärke, andererseits besitze ich ein feines Gespür für Proportionen, ich merke, wenn Farbtöne oder Formen nicht harmonieren, und ich habe ein ausgeprägtes Gefühl für den Raum. Weniger für Zeit, die im Garten immer schneller zu vergehen schien, als überall sonst.

Eine verborgene romantische Ader hatte mich wahrscheinlich zu unserem Haus geführt und sie war wohl auch verantwortlich für die Vorstellung, dass sich der Garten harmonisch in die Marschlandschaft ringsum einfügen sollte.

Der Vorgarten im September

An dieser Stelle ist es wohl angebracht, auch unser Haus vorzustellen. Es wurde zwischen 1830 und 1840 als reetgedecktes Backsteinhaus erbaut, ein genaues Baujahr ist uns jedoch nicht bekannt. Mit dem in die symmetrische Fassade eingelassenen Erker ist es für ein gewöhnliches Landarbeiterhaus zu aufwendig gestaltet, die ursprüngliche Nutzung ist in keiner Dorfchronik erwähnt und somit für uns im Dunkeln geblieben.1890 wurde ein langer Anbau rückwärtig angefügt, der damals der Tierhaltung diente und den wir heute unter anderem als Gartencafe nützen, zu den Öffnungszeiten des Gartens.

Immer wieder bleiben Spaziergänger vor dem Haus stehen, und oft wird es fotografiert und als malerisch oder pittoresk beschrieben. Wir hatten es 2005 in Übereinkunft mit dem Amt für  Denkmalschutz grundsaniert mit dem Ziel, es wieder in den Originalzustand zurückzuversetzen. Innen wie außen ist es seitdem in den damals verwendeten Farben lackiert und gestrichen. Es ist ein Kulturdenkmal, das wir zuverlässig bewahren und sehr gern bewohnen.

R.gallica – Ypsilanti

Nun wurden viele der historischen Rosen in meinem Garten zu der Zeit gezüchtet , als auch das Haus erbaut wurde. Es ist ein Flair oder eine Stimmung, die das Haus und  die Rosen gemeinsam haben, etwas Leichtes und Helles –  eine Klarheit, die sowohl die Rosenblüten als auch die Fassade unseres Biedermeierhauses ausstrahlen.

So wuchs der Garten vom Haus ausgehend, nahm dessen Stimmung als Unterströmung mit und breitete sich Jahr für Jahr in die unkultivierten, brach liegenden Rasenflächen aus.

Wenn mich etwas innerlich erreicht und dort Saiten zum Klingen bringt, dann werde ich sehr neugierig. Diese Neugier führt dazu, dass ich anfange, Ähnliches zu suchen, Verbindungen herzustellen und nachzuforschen. Mit anderen Worten, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich anfange zu sammeln.

Schallplatten, CDs und Bücher hatte ich schon als Jugendlicher gesammelt und irgendwann in den 90er Jahren kamen schließlich völlig unerwartet Rosen dazu. Heute umfasst die Sammlung etwa 600 Sorten so gut wie aller Rosenklassen, aber der Schwerpunkt blieb bei den historischen Rosen. Bevor es online möglich war, Sortimente zu sichten, sammelte ich Rosenkataloge und ich war Stammgast in den hiesigen Gärtnereien geworden; da mich die Liebe für Stauden immer begleitet und nie wirklich verlassen hatte, lag es auf der Hand nach Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen, die Stauden und Rosen verbinden konnten und worin nach und nach Kräuter, Farne und Gräser integrierbar waren.

Das Staudenbeet im Frühsommer

Im Garten hatten sich die beiden Leidenschaften Bewegungsdrang und Sammeln getroffen, sie holten den kreativen Prozess, das Ausprobieren und Experimentieren, mit ins Boot  und  zogen den Kompass Harmonie und Raumgefühl mit zu Rate. Ich glaube, so ähnlich ist das abgelaufen und wurde schließlich zum Rosengarten an der Elbe.

Mein Garten entwickelte sich also gänzlich ungeplant, es gab wenige Vorgaben, wie den alten Baumbestand, der den Raum strukturierte, und Gräben, die das Grundstück an den Seiten begrenzten. Brennnesseln, Giersch und Winden, die an den Grabenrändern wucherten, hatten jedoch rasch angefangen sich auszubreiten und Schlupflöcher gefunden, um in die bereits kultivierten Partien vorzudringen. Da musste ich eine Entscheidung treffen und ich entschied so, wie ich als Therapeut entschieden hätte: Grenzen setzen! Grenzen geben Sicherheit, schaffen Klarheit und sie schützen.

Scheinmohn, Wolfsmilch und Akeleien, ein Stilleben April, Anfang Mai

In diesem Fall schützten sie den kultivierten Raum davor, von Winden und Giersch eingenommen und besetzt zu werden. Anfangs nahm ich das nicht wirklich ernst, bis ich bemerkte, wie schnell und zielstrebig sich Wurzelunkräuter ausbreiten. Ich hätte mir nun einreden können, dass Giersch und Winden nicht wirklich stören und sich in einen naturnahen Garten integrieren lassen, möglicherweise sogar einen natürlichen Garten ausmachen.

Weissblaue Akeleien im Frühjahr

Ich entschied mich aber dagegen mit der Konsequenz, dass ich fortan an dieser Stelle äußerst  diszipliniert sein musste. Nachlässigkeiten und Toleranz gestatte ich mir an anderen Stellen schon genug. Jedes Farbkonzept wurde von Scheinmohn, Akeleien und Euphorbien regelmäßig sabotiert, die sich ansiedelten, wo sie wollten, und von mir schließlich mehr oder weniger geduldet wurden. Stauden und Einjährige wuchsen oft wild durcheinander, dicht verwoben und für manche Besucher offenbar zu ungeordnet. „Hier wächst ja alles durcheinander!“ hörte ich immer wieder.

Nun, nicht ganz, aber ich bemerkte zunehmend, wie ich selbst anfing, den Überblick zu verlieren und mir wurde klar, dass die Beete eine gute Struktur verlangten. Ein Gerüst und eine Gliederung, die dann gelungen ist, wenn sie nicht bemerkt wird; oder die erst durch ein Gefühl von Ausgeglichenheit und Harmonie spürbar wird, das sich plötzlich da einstellt, wo die Betrachter sich zuvor ratlos und überfordert abgewandt hatten. Ich fing an, Akeleien und Fingerhüte in Dreier- oder Vierergruppen zu sammeln und dazwischen Platz zu lassen. Ich bestimmte nun, wer König und wer Hofstaat im Beet sein sollte, und merkte schnell, dass ein Beet nur eine Königin aushält. Einen imposanten Horst Rittersporn mit halbhohen Beetrosen zu kombinieren machte keinen Sinn, ebenso wenig wie Staudenmohn, Päonien und Rosen in ein Beet zu zwängen. Blühen sie alle gleichzeitig, gibt es keinen Ruhepunkt mehr, wo sich das Auge  ausruhen und abschweifen kann. Ich entschied mich also, die Höhepunkte pro Rabatte zu begrenzen und jeden Höhepunkt mit  harmonischen Begleitern zu umgeben. Rosen mit Mutterkraut und Steppensalbei, Päonien mit Akeleien und Rittersporn mit Frauenmantel; ich fing an, Mutterkraut, Baldrian und Storchschnäbel gezielt als Begleitstauden zu verwenden, die Rosen und Päonien ins rechte Licht setzen konnten, den Raum füllten und gliederten.

E gab in den ersten Jahren  nur wenige einheitliche Beetbegrenzungen, die Buchseinfassungen waren chronisch ungeschnitten und Sämlinge von Wildstauden und Kräutern fingen an, die empfindlicheren Stauden  zu überwuchern. Es war ein langer Weg und ein erstaunlicher Prozess, der zu dem Garten führte, den ich heute sehe. Zuerst war alles wild und ungezähmt, weitgehend strukturlos und ungeordnet. Erst im Laufe der Jahre  entwickelte sich daraus mein Wunsch nach mehr  Klarheit und Ordnung; die verwunschene Cottage-Garden-Atmosphäre wollte ich dafür aber nicht opfern . Eine Besucherin beschrieb das, was daraus entstanden war, einmal so: „Ihr Garten ist ordentlich, ohne spießig zu sein.“ Damit fühlte ich den Garten ganz gut beschrieben.

Hostablätter

Worauf ich mich immer verlassen konnte, war ein sicheres Gefühl dafür, welche Pflanzen ich mochte und welche Stimmung mir gefiel. Waren es anfangs eher auffällige Farben und große Blüten, die mich anzogen, sind es heute Gräser, Farne und Blatttexturen und einfach-bis halb gefüllte Rosenblüten. Jahr für Jahr stach ich also neue Rasenstücke ab und machte sie zu Beeten für  Rosen und Stauden. Ich entwickelte für die Beete Einfassungen aus langen, geraden Kopfweidenästen, die im Winter zuhauf anfallen, und ich legte neue Wege an. Ich sorgte für Licht und Luft, indem ich Bäume fällte und Knicks auslichtete. Aus Buchsbaum Stecklingen wurden kräftige Jungpflanzen, die ich in Reihen als Einfassungen steckte für die Beete, in denen die ersten Strauchrosen wuchsen.

Was ich nur mühsam lernte, war ein Gefühl für Balance und Gleichgewicht nicht nur wahrzunehmen, sondern es auch ganz praktisch umzusetzen. Ich entdeckte, dass regelmäßig gemähte Rasenflächen üppige und randvolle Beete ausbalancieren können. Ich lernte die Ausgewogenheit von Beeten und Rasenflächen zu beachten, wobei die Sammelleidenschaft immer nach mehr Beetfläche fragen wird und dann gezügelt werden sollte, wenn die Balance zu kippen droht.

Heute, nach 30 Jahren, ist der Garten in unterschiedliche Gartenräume aufgeteilt und durch ausreichend breite Wege sowie regelmäßig geschnittene Buchseinfassungen strukturiert. Die Grabenränder sind Dickicht geblieben, mit heimischen Sträuchern bewachsen. Schlehen, Holunder, Weiden und Mirabellen bilden nach wie vor die äußere Begrenzung, hin und wieder durchbrochen von Ausblicken über Wiesen und Felder.

Blick in den Rosenpark mit Fingerhüten, die im Frühsommer überall zu sehen sind

In den Beeten darf sich weiterhin vieles versamen, Fingerhüte, Akeleien, Storchschnäbel und Baldrian tun das nur zu gerne. Mit Farben bin ich eher zurückhaltend. Es gibt Bereiche mit historischen Rosen in abgetönten Pastelltönen, da ist Gelb eher störend, nur Meconopsis cambrica, der  Scheinmohn und seine gelben Tupfer, das ist fast überall eine heitere Bereicherung.

Alles, was ich heute über Gartenarbeit und Pflanzen weiß, habe ich im Garten gelernt. Zusätzlich habe ich viel gelesen. Ich kenne die Bodenbedingungen hier im Garten, das Wetter an der Elbe ist mir inzwischen vertraut geworden und auch die Ansprüche, die Stauden wie Rosen an ihre Standorte oder an die nötige Winterhärte stellen, glaube ich zu kennen. Ich gehe heute noch am liebsten auf – ich nenne sie für mich so – „Sichtungsgänge“ durch den Garten und schaue mir alles an, wobei ich mir Zeit lasse, meine Schere aber immer griffbereit ist. Am besten vor oder nach ausgedehnten Arbeitsgängen lasse ich die vorgenommenen Veränderungen dergestalt auf mich wirken und mache Listen im Kopf davon, was ich als Nächstes tun will. Ich achte auf Ideen, die beim Gehen und Schauen auftauchen, und genieße das Licht, den Duft der Rosen und beobachte die geschwätzigen Meisen.

Vögel und Insekten lieben meinen Garten, weil es hier ausreichend Nahrung und Unterschlupf gibt.

Geranium Sirak mit geflügeltem Besucher

Die bewirtschafteten Flächen ringsum sind schon lange als Lebensraum für Insekten und Kleintiere verloren gegangen, Gülle, Pestizide und Insektizide haben sie vertrieben.

Glücklicherweise entdecken immer mehr Privatgärten ihre Verantwortung, hier in die Bresche zu springen, und ich freue mich, dass wir unseren Teil dazu beitragen.

2003 begann für uns im Garten eine neue Zeitrechnung. Auf Anregung meiner Frau Susanne nahmen wir zum ersten Mal an der „Aktion Offener Garten Schleswig-Holstein“ teil. Wenn ich Bilder von damals sehe, kann ich kaum glauben, wie improvisiert alles war, wie wild und ungeschliffen.

Diesem Akt des Öffnens sind wir bis heute treu geblieben, unsere Saison fängt Ende Mai an und endet Anfang September. Wir empfangen große und kleine Besuchergruppen, die inzwischen auch aus dem angrenzenden Ausland kommen. Durch den Garten haben wir Freunde gewonnen und Kontakte geknüpft, auf unseren Gartenreisen nach England hole ich mir auch heute noch Inspiration und bewahre meine Entdeckerfreude. Beth Chattos Garten zu sehen oder Christopher LLoyds Great Dixter war wie eine Pilgerreise zu den Quellen, ihre Briefwechsel zu lesen berührte und bewegte mich. Sie sind für mich wie Leuchttürme, die in der Weite stehen und Orientierung geben, ohne Gefolgschaft zu fordern, kreativ und unorthodox. In diesem Sinne: auf in den Garten!