Sucht und Sehnsucht

HPPink Leda und Belle Isis

Belle Isis, Pink Leda +Goldstern

Oriole

HP Botzaris

Botzaris vor Excelsa

HPGhislaine de F.500

Ghislaine de Feligonde

HPBelle Isis 500-2

Belle Isis

HP Louis van Tyll 500 -2

Louis van Tyll

HP Mme Edouard Oury 500 2

Mme Edouard Oury

Mit den Chinarosen kam die Fähigkeit des mehrmaligen Blühens in die europäischen Gärten, mal von Rosa damascena semperflorens/Quatre Saisons abgesehen.

Remontieren, öfterblühen, mehrmals blühen und nachblühen. Die ganze Sehnsucht, der Vergänglichkeit Einhalt zu gebieten steckt in diesen manchmal schon verzweifelt klingenden Beschwörungen. Und nur wenige Rosen halten diese Versprechen so, wie sie der Liebhaber verstehen will. Alberic Barbier ist in guten Jahhren in der Lage nochmals großflächig zu blühen, in anderen Jahren gar nicht. Bourbonrosen wie Mme Ernest Calvat, Mme Isaak Pereire oder Prince Napoleon blühen gut nach, wobei die Herbstblüten oftmals klarer und perfekter geformt sind.

Beinahe das volle Programm nochmal liefern dagegen Schneewittchen, Mary Rose, The Pilgrim und Gela Tepelmann.

Manchmal denke ich unwillkürlich an unseren  umfassenden Anspruch, alles jederzeit und am Besten sofort und zeitlich unbegrenzt haben zu wollen, kombiniert mit dem selbstverständlichen Anspruch darauf. Sofortiger Zugriff ist alles, und die modernen Medien nährenund fördern diese Illusion.

Aber die Natur verweigert sich da, erinnert uns schmerzlich daran, daß jeder Sommer der Letzte sein könnte, für den Gärtner, die Rose oder Beide. Und daraus wiederum entsteht so etwas wie Intensität und Achtsamkeit für den Augenblick. Ich spüre, ich bin genauso vergänglich wie meine Rosen. Jede Saison ist einmalig und unwiederholbar und ich weiß, daß Fantin Latour, Comtesse de Murinais, Duchesse de Montebello und Felicite Parmentier nur für vielleicht 4 Wochen blühen werden, ohne das Versprechen auf mehr, auf länger und noch schöner. Und daß es Mitte/Ende Juli wieder 11 Monate dauern wird, bis ich dieses grandiose Schauspiel erneut erleben kann.

Die Sucht nach dem Neuen und die Sehnsucht nach dem Alten

Der Weise Laotse sitzt in einem kleinen Garten, auf einer unscheinbaren Bank. Hinter einer halbhohen Hecke scharrt ein Ochse und schlägt mit dem quastigen Schwanz nach unsichtbaren Fliegen. Neben der Bank schlängelt sich eine Rose nach oben. Ungefüllte, einfache Blüten in einem zarten Hellgelb verströmen einen  kaum wahrnehmbaren Duft. Laotse hat die Augen geschlossen und schwebt schwerelos und still zwischen langwedligen Farnen und blaugrünen Gräsern.

Wahrscheinlich ist es so, dass dieser Weise seinen Garten nicht brauchte, um einen Zustand von Versenkung und Kontemplation zu erreichen. Für ihn hätte es auch eine Gefängniszelle oder ein Großraumbüro sein können.Wahrscheinlich brauchte er den Garten nicht, aber vielleicht liebte er ihn, ohne ihn zu brauchen, mit dem notwendigen Maß an Losgelöstheit, ganz im Sein, nichts im Haben.

Vielleicht widersprechen sich ja der Wunsch nach Einfachheit, Meditation und Stille auf der einen Seite und die Neigung zu bisweilen zwanghaftem Pflanzensammeln mit Busgruppen-Tourismus auf der anderen Seite. Sein und haben. Möglicherweise liegt die Lösung für einen erfüllten Gartenalltag im Versuch, diese beiden Pole auszubalancieren. Wenn ich mit den Busgruppen-Besuchern im Garten unterwegs bin, ist sich ein Teil von mir immer des stillen Gartens bewusst. Diese Stille im Hintergrund scheint zu bewirken, dass das Besuchsprogramm den Garten nicht zur bloßen Bühne, zu Kulisse und Staffage werden lässt. Aus der Stille kommt der Gesang der Teichrohrsänger, fliegen die Libellen und entfalten sich die Rosen, gleichgültig ob ich da bin, ob es regnet oder ob die Sonne scheint.

Ein Hauch Fernost liegt über dem Nordostende des Gartens, wo Eschen und Ahorne die hohe Abschlussreihe bilden. Davor breitet sich ein Rasenquadrat mit einem Rahmen aus hohen Strauchrosen aus. Darin eingebettet habe ich ein halbrundes Areal mit geschwungener Frontseite,

dessen Anker auf der Rückseite ein im Herbst korallenrot gefärbter Schlitzahorn ist.

Darunter schmiegen sich verschiedene Schildfarne und ein Hirschzungenfarn neben der Reihe hoher Gräser, die das Halbrund bilden. Hier stehen die Rutenhirse Nordwind und einige Chinaschilfe. Davor eine Reihe von Japanseggen mit panaschierten, grünweißen Blättern sowie einige Exemplare der Morgensternsegge. Die vordere, geschwungene Linie ist bepflanzt mit  Philippe Vapelle, einem Kaukasus-Storchschnabel mit grauweißem Blattwerk und blauvioletten Blüten. Am südwestlichen Ende breitet sich eine Ballhortensie aus, die mit dem Bergwald-Storchschnabel unterpflanzt ist, dessen kleine, hellviolette Blüten sich mit den rosafarbenen Blüten der Hortensie bestens ergänzen.

Das ovale Mittelstück beherbergt im Hintergrund hohe, späte Astern und die Japan-Anemonen Honorine Jobert und White Swirl sowie zwei Japanastern. Die Blütenfarben der Stauden changieren zwischen pastelligem Blau und Weiß, was dem Bild Ruhe und Leichtigkeit verleiht.

Das Beet liegt im wandernden Baum-Schatten, nach Osten hin neigt eine ausladende Sauerkirsche ihre Äste darüber, in die Austins Malvern Hills und Lamberts Oriole ranken können. Oriole ist eine wunderbare Multiflorarose mit halbgefüllten Blüten in einem exquisiten, zarten Hellgelb und dichter, gesunder Belaubung.

Diese ganze Partie atmet Ruhe und Beschaulichkeit und ich liebe es, jeden Tag wenigstens für ein paar Minuten hier zu sitzen. Die kleine Gartenbank, nach Süden ausgerichtet, ist der geeignete Platz, um Gräser, Farne und Stauden zu überblicken, mich in den verschiedensten Blatttexturen, Mustern und Schattierungen zu verlieren und dabei das wandernde Spiel von Licht und Schatten zu verfolgen. Schmetterlinge fliegen waghalsige Flugmanöver bis in die Kronen der hohen Bäume, das Haus ist von dieser Stelle nicht mehr zu sehen und die Mittagssonne wird durch das rötliche Blattwerk der halbhohen Kirschpflaume gefiltert. Laotses Garten.

Nach zwei Tagen offenem Garten oder einer 30-köpfigen Busgruppe ist der Garten verändert. Jedesmal spüre ich diese Veränderung, ohne genau sagen zu können, was sich verändert hat. Als ob es noch Stunden oder manchmal Tage dauern würde, bis sich die letzten Schwingungen der Besucher verflüchtigt haben, nicht mehr wahrnehmbar sind und Ruhe einkehrt, bei Pflanzen und Tieren, Erde und Atmosphäre. Und Laotses Garten wieder auftaucht, nie weg war und immer da sein wird.

Ich staunte, wie sehr mich Zen-Gärten, Landschaftsgärten und formale Gärten anziehen und inspirieren. Sie ziehen mich an, weil sie offensichtlich meinen anderen Teil repräsentieren.

Ich bewundere Gärtner, die sich so konsequent begrenzen und beschränken können, so zielgerichtet auszuklammern und zu fokussieren in der Lage sind und dadurch prägnante Bilder formen können.

Ich erinnere mich an die Fotografie eines Landschaftsgartens: Die Zierkirsche Prunus yedoensis schwingt sich weit ausladend, mit einer einzelnen bläulichen Glaskugel behangen, durch den Vordergrund, dahinter breitet sich eine mit Herbstblättern gesprenkelte Rasenfläche aus, deren Halbrund sich im Dunst verliert … Sonst nichts. Wie klar, wie einfach, wie ausdrucksstark.

Wie erfreulich aber, dass ich mir die Abschweifungen gestatten kann, um hunderte Rosen, Stauden, Sträucher und Einjährige zu pflanzen, die keinen unmittelbaren Nutzen haben und keiner Idee dienen müssen. Ich entdecke Formen und  Farben, Düfte und Strukturen, die meine Fantasie bereichern und ich merke, dass ich einen geradezu existenziellen Hunger verspüre nach Gärten wie Great Dixter, Monets Garten in Giverny und Derek Jarmans Prospect Cottage Garden. Nur wenn sich Gärtnerinnen und Gärtner immer wieder daran erinnern und nicht vergessen, dass sie nicht unerbittlich ordentlich zu sein brauchen, ohne gleich Gefahr zu laufen, Ärger mit der Gartenpolizei zu bekommen, nur dann behalten und bewahren sie die Fähigkeit, sich phantasievoll und kreativ um keine Regeln scheren zu müssen. Diese Lust und Sehnsucht zu behalten oder erst zu entwickeln, nach Farben, Formen und Strukturen – wie ich sie auch wiederfinde in William Faulkners „Licht im August“, Beethovens Streichquartetten und Miles Davisʼ „Kind of Blue“, der Malerei von Vermeer, Turner und Paula Modersohn-Becker, das erscheint mir wie ein täglich neu erfahrbares Geschenk.

Was das in der Praxis bedeuten kann, wird für mich am Garten von Derek Jarman sichtbar.

ein Garten, den ich selbst nie in natura gesehen habe, aber dessen Beschreibung in Wort und Bild für mich immer Inspiration und Motivation war. Haus und Garten sind dort organisch mit der gleißenden Kieswüste in Dungeness verbunden, die Pflanzen allesamt diesen unwirtlichen Bedingungen angepasst und wie in wortloser Kommunikation mit dem gesammelten Strand- und Treibgut verwoben. Hölzer und Metalle, verformt und verbogen, als  plastische Kunstwerke arrangiert, und überall gefundene Steine, als Einfassungen kreisförmig gelegt und auf Treibholz und Metalle gesetzt. Das lebt und atmet, steht in regem Austausch mit den auf die Fassadenhölzer gepinselten Gedichten.

Ist es nicht so, dass diese schwer erklärbare Inspiration die Quelle, der Grund und die Motivation für unser Tun ist und wir Gärtner uns immer wieder dieses unseres Gefühls versichern, unserer Inspiration vertrauen und sie schließlich in praktische Arbeit umsetzen sollten? Ich denke schon, und immer, wenn es mir auch nur ansatzweise gelingt, bin ich zufrieden und erfüllt, als wäre das der eigentliche Sinn und Ursprung dieser speziellen Leidenschaft Garten.